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Im Jahre 1859 veröffentlichte der englische Naturforscher Charles Darwin sein erstes großes Werk On the Origin of Species (Über die
Entstehung der Arten), legte damit den Grundstein für die moderne Evolutionsbiologie und beschrieb gleichzeitig den "einzig denkbaren Mechanismus" (Richard Dawkins), durch den Komplexität aus Einfachheit entstehen
kann - und dies ohne einen intelligenten Schöpfer
. Die Idee der Evolution war zu Darwins Zeiten nicht neu, aber er war der erste Mensch, der wirklich verstand, wie sie vor sich ging, auch wenn er natürlich nur sehr
vage Vorstellungen von den Trägern der für die Evolution notwendigen Informationen (den Genen) hatte. Die Evolution ist wissenschaftlich so abgesichert, wie es
eine Theorie nur sein kann, und die gelegentlich vorgebrachte Wendung "Evolution ist nur eine Theorie" ist bedeutungslos. Sie ist die einzige sinnvolle Theorie der Entwicklung des Lebens und überreichlich mit Belegen,
Beweisen und Funden abgesichert. Als gut verständliche Einführung in das moderne Evolutionsdenken kann ich das Buch Der blinde Uhrmacher von Richard Dawkins gar nicht warm genug empfehlen. Losgehen, kaufen, lesen!
Wozu also ein Eintrag im Skeptischen Wörterbuch? Einfach aus dem Grunde, dass die Evolution häufig missverstanden wird und selbst unter Menschen, die die Tatsache als solche nicht anzweifeln, seltsame Vorstellungen
über ihr Funktionieren kursieren. Einige von ihnen sind: 1) Erworbene Eigenschaften werden auf die Nachkommen vererbt.
Man ist immer wieder überrascht, wie viele Menschen heute noch der Überzeugung sind, dass in einem Leben erworbene Eigenschaften und Fähigkeiten auf die Nachkommen
übergehen. Dieser Irrtum wird allgemein Jean-Baptiste Lamarck zugeschrieben, und auch Darwin hing ihm in abgemilderter Form an. Tatsächlich wird nichts von dem, was wir lernen, verstehen oder an Fertigkeiten erwerben,
an unsere Nachkommen weitergegeben - jede Generation beginnt von Neuem. Es gibt keinerlei Informationskanäle von der Umwelt in das Genom.
2) Evolution ist reiner Zufall Hier liegt eine Verwirrung zweier Ebenen zu Grunde, die vor allem durch die brilliant geschriebenen Bücher des einflussreichen
Paläontologen Stephen Jay Gould an Verbreitung gewann. Die Mutation, d.h. die Veränderung des Erbgutes, ist tatsächlich mehr oder weniger Zufall (und die meisten Mutationen sind dem Überleben des Organismus abträglich),
aber das Überleben der Organismen selber ist alles andere als zufällig, sondern wird im Zusammenspiel mit (und häufig im Kampf gegen) die Umwelt errungen. Etwas vereinfacht könnte man sagen, jede Umwelt "züchtet" sich
sozusagen die Organismen heran, die in ihr überleben und sich reproduzieren können (natürlich in den Grenzen, die von der genetischen Variabilität der Organismen gesetzt werden). Und anders als Gould meint, lassen
sich durchaus "allgemeine Trends" (Robert Wright) in der Evolution festmachen. Der Münchner Biologe und Ökologe Josef Reichholf spricht hier von einer zunehmenden "Emanzipation der Organismen von der Umwelt".
3) Der Mensch ist der Evolution nicht mehr unterworfen Wäre dies wahr, so wären mit einem Schlag
Delfine und Schimpansen die intelligentesten Lebewesen der Erde, denn nur tote Dinge unterliegen keiner Evolution. Dieser Irrtum speist sich aus zwei Quellen: a) Der Mensch kann sich seine Umwelt mittlerweile
derart formen, dass er nicht mehr evolvieren muss, um mit ihr zurechtzukommen. Zunächst einmal hat auch der Mensch überhaupt keine Wahl, zu evolvieren oder nicht, denn er unterliegt einer im Prinzip messbaren
typischen Mutationsrate, und Mutationen sind immer Möglichkeiten zur Evolution. Zweitens gehören zur Umwelt eines Organismus immer auch alle anderen Organismen derselben Art, und dass wir unsere Mitmenschen heute besser
formen können als in der Vergangenheit, wird wohl niemand behaupten. Diese Kontrolle der Umwelt ist zum großen Teil Illusion. Drittens könnte sich die Evolution
durchaus noch beschleunigen, da wir heutzutage unsere "Mutanten" nicht mehr der natürlichen Selektion zum Opfer fallen lassen, ähnlich wie unsere erblich bedingten Kranken; und es ist durchaus vorstellbar, dass unsere
moderne und ungeheuer komplexe Welt ganz andere Anforderungen an unsere Nachkommen stellt, die es möglicherweise neuen Mutanten ermöglichen, Talente anzuwenden, von denen wir heute noch keinen blassen Schimmer haben.
b) Der Mensch ist zwar ursprünglich ein biologisches Wesen, hat sich aber durch Kultur und Gesellschaft von seinen biologischen Wurzeln gelöst. Daher ist die Evolution für ihn bedeutungslos, sowohl
erklärend-historisch als auch zukünftig. Dieses Credo der modernen Sozialwissenschaften ist von Jahr zu Jahr weniger haltbar, und ein ganzer Forschungszweig (die Evolutionspsychologie) befasst
sich mit genau diesen biologischen Gegebenheiten, die unser Leben auch heute noch stark beeinflussen. Im Grunde handelt es sich um die alte Allmachtsphantasie, derzufolge der Mensch durch seine Umwelt zu 100% geformt
wird und als tabula rasa
zur Welt kommt. Diese Überzeugung befindet sich gerade auf dem Weg von der Halbwissenschaftlichkeit zur Religion und wird auch traditionell weniger mit Argumenten als vielmehr mit Emotionen aufrechterhalten.
4) Es gibt Mutationen, die sich auf eine Veränderung der Umwelt einstellen, die noch in der Zukunft liegt. Nein, gibt es nicht - jede Veränderung im Genom muss dem Organismus nützen oder darf ihm zumindest nicht ernsthaft schaden, wenn sie sich halten will. Mutter Natur hat keinen
Blick für die Zukunft, nur einen für die Vergangenheit: Was sich früher bewährt hat (nämlich bei den Vorfahren eines Organismus), wird vermutlich auch weiterhin klappen; daher ist die Evolution zunächst einmal
konservativ. Was hingegen reichlich dokumentiert vorliegt, sind sogenannte "Exaptationen" oder "Prä-Adaptationen" (ein schlechter Name, denn er suggeriert geradezu den Zukunftsaspekt). Dies bedeutet, dass Teile eines
Organismus einen "Funktionswandel" (Josef Reichholf) durchmachen können, der ihnen neue Möglichkeiten erschließt. In Der schöpferische Impuls
erklärt Reichholf dies anhand der Vogelfeder, und ich kann dieses Buch ebenfalls nur empfehlen.
5) Es geht bei der Evolution um die "Erhaltung der Art" Die Erhaltung der Art ist lediglich ein Nebenprodukt des eigentlichen Antriebs der Evolution, nämlich der
Replikation des "egoistischen Gens" (Richard Dawkins). Weder die Art noch irgendeine andere Gruppe und auch nicht der einzelne Organismus sind die "Einheiten der Selektion" - das Genom ist es, oder, noch präziser, jedes
einzelne sinnvoll abgegrenzte Gen. Anders formuliert: Organismen geben nicht ihre Gene an ihre Nachkommen weiter - Gene erschaffen Organismen, um ihre Möglichkeiten zur Selbstreplikation zu verbessern. Auch das dritte
und vierte Buch in diesem Eintrag möchte ich allen Leserinnen und Lesern sehr ans Herz legen: Das egoistische Gen bzw. für Fortgeschrittene The Extended Phenotype, beide von Richard Dawkins (siehe auch
Literaturliste).Leserkommentar |