Datum: 02.12.2000 00:13:40 Autor: Udo Teichmann ©
Niederländische Sterbehilfe ist total absurt!
Recht auf Leben, Pflicht zu leben?
Liebe Mitdiskutanten,
das niederländische Gesetz zur aktiven Sterbehilfe betrifft nur Fälle, in denen jedenfalls für dieses irdische Leben ein "inneres Wachstum durch Leiden" ausgeschlossen ist, weil nur aussichtslos Sterbenden "geholfen" werden darf. Wer also "nur" schier unerträgliche Schmerzen hat, aber durch Ausharren im Leiden noch zu retten wäre, fiele nicht unter dieses Regelung.
Die niederländische Regelung ist also nicht der absurde Versuch, das Leiden durch Tod zu heilen. Es geht vielmehr darum, daß im letztlich unlösbaren Wertekonflikt zwischen dem Recht auf Leben und der Menschenwürde der Betroffene selbst sich für seine Würde entscheiden darf. Und diese höchstpersönliche Entscheidung, die er bei drei verschiedenen Gelegenheiten nachdrücklich und unmißverständlich erklärt, soll für den Arzt dann rechtfertigend sein,
(1) wenn auch nach Bescheinigung eines weiteren Arztes für den Patienten weder Aussicht auf Heilung noch auf wesentliche Linderung seiner Qualen besteht.
(2) wenn eine eigens dafür berufene staatliche Kommission in gründlicher Einzelfallprüfung bestätigt, daß die gesetzlichen Kriterien insgesamt erfüllt sind und der Wille des Patienten auch wirklich nachdrücklich und überzeugend erklärt wurde.
(3) wenn keine "normale" Todesbescheinigung ausgestellt, sondern in ihr ausdrücklich auf die aktive Sterbehilfe hingewiesen wird.
Das niederländische Gesetz stellt sich der moralischen Herausforderung, in der das Recht auf Leben und die Menschenwürde unversöhnlich in Konflikt geraten. Es geht davon aus, daß man etwa die religiöse Auffassung, daß nur Gott über Leben und Tod zu entscheiden hätte, nicht jedem Menschen aufzwingen darf. Das Recht auf Leben fordert nicht bedingungslos auch vom Betroffenen eine Pflicht zum Leben. Im Gegenteil, wir kennen etliche Fälle, wo der Einsatz des eigenen Lebens, etwa zur Rettung anderer, als Heldentat gerühmt und moralisch akzeptiert wird. Wenn nach der Überzeugung des Sterbenden und nach objektiven Feststellungen sachkundiger und berufener Dritter eine aussichtslose Fortdauer der Qualen den Sterbenden nur noch entwürdigt, dann ist auch zur Rettung der eigenen Würde der Einsatz des eigenen Lebens legitim.
Dieser klaren Entscheidung für die eigene Würde des Sterbenden mögen andere achtbare moralische Grundsätze entgegenstehen, zumal aus religiösen Überzeugungen heraus, in denen unter Umständen gerade das duldende Ertragen eines schrecklichen Sterbens für den Betroffenen eine wichtige religiöse Liebes- und Gehorsamspflicht gegenüber dem eigenen Schöpfer darstellt, die ihm bis über den Tod hinaus die Würde des Kindes Gottes verleiht. Wer so sein Leiden erduldet, der wird nicht von der niederländischen Regelung Gebrauch machen. Aber darf man diese höchstpersönliche und zutiefst religiöse Haltung, die auch im "sinnlosen" Leiden noch eine vom eigenen Schöpfer auferlegte "Prüfung für die Ewigkeit" akzeptiert, für alle Menschen verbindlich machen?
Das eben darf man nicht. Nur wer in solchen religiösen Motiven sein "sinnloses" Leiden freiwillig auf sich nimmt, verliert seine Würde nicht durch unerträgliche Sterbensqualen, die nicht zu lindern sind. Menschen, die nicht aus dieser Tiefe schöpfen können, müssen sich auf ehrliche Weise auch öffentlich für ihre Würde entscheiden dürfen, und nicht auf eine für alle Beteiligten unwürdige Heimlichkeit mit dem eigenen Arzt angewiesen sein.
Mit freundlichen Grüßen
Udo Teichmann