Datum: 13.11.2000 20:31:05 Autor: Udo Teichmann ©
Politisch korrektes Publikum bei Sabine Christiansen


Die züchtigen Schwestern
Liebe Mitzdiskutanten,

man solte Herrn Geiss auch nicht allzu sehr tadeln, schließlich hatte sein "Schwestern-Argument" schon fast Ximo-Niveau. Dumm ist dieses Beispiel nämlich keinesfalls, es ist vielmehr entlarvend.

1. Herr Geiss betont, daß er dagegen ist, neben der Ehe irgendwelche andere Lebensgemeinschaften mit Privilegien auszustatten. Jetzt den Befürwortern der eingetragenen Partnerschaft anzukreiden, daß sie nicht auch für solche Lebensentwürfe Regelungen anbieten, ist bestenfalls dreist. Geiss will den Schewstern ja gar nicht helfen, seine Tränen um die niedrigeren Erbschaftssteuerfreibeträge bei Geschwistern sind Krokodilstränen. Herr Geiss hat diesen Schwestren selbst nichts zu bieten und er will daran auch ausdrücklich gar nichts ändern.

2. Das Beispiel mit den Schwestern hat eine untergründige propagandistische Absicht. Es soll daran erinnern, daß bei den eingetragenen gleichgeschlechtlichen Partnerschaften Sexualität eine Rolle spielt, was bei den züchtigen Schwestern nicht der Fall ist. Damit wird der propagandistische Effekt angestrebt, daß der Verweis auf schwule Sexualiätät in diesem Zusammenhang genügende anzügliche Phantasien auslöst, um einen unterschwelligen angstbesetzten Widerstand gegen diese neue Regelung zu provozieren.

3. Damit wird aber tatsächlich ein merkwürdig ausgeblendeter Aspekt angesprochen. Auch die Befürworter des Gesetzes drücken sich irgendwie verklemmt um ein klares Bekenntnis zur Sexualität in intimen Lebensgemeinschaften von Schwulen und Lesben. Auch die Befürworter haben immer klinisch rein bloß von "Verantwortungsgemeinschaft" palavert, so als ob das Ganze bloß zur Schonung der Sozialämter eingeführt worden wäre. Dabei ist die Tatsache, daß in der eingetragenen gleichgeschlechtlichen Partnerschaft eine verbindliche Intimbeziehung einen gesellschaftlichen und rechtlichen Rahmen erhalten soll. Die Sexualiät ist keine Nebensache in einer solchen Beziehung, sondern wie zwischen Eheleuten ist auch in der homosexuellen Intimpartnerschaft die Sexualität ein konstituierendes Element der Beziehung, so wie die menschliche Sexualität auch konstituierendes Element der Würde des Menschen schlechthin ist. Die Sexualität ist unter Menschen der natürlichste Ausdruck für Zuneigung und Liebe und bietet auf unersetzbare Weise menschliche Nähe und Geborgenheit. Sie gehört damit zum intimsten Kernbereich der Menschenwürde, und zwar parallel dazu und ganz unabhängig davon, daß die selbe Sexualität auch der biologisch-emotionale Ort der Fortpflanzung ist.

4. Die Vorstellung, Sexualität sei eigentlich böse und nur durch Fortpflanzung gewissermaßen ausnahmsweise entschuldbar, ist eine heute völlig irrelevante Privatmeinung einiger katholischer Dogmatiker, die freilich im Rahmen der Amtskirche das Sagen haben. Für das gesellschaftliche Nachdenken über einen verfassungstreuen Umgang miteinander kann die katholische Kirche keine tragfähigen Impulse mehr beisteuern, und das seit ungefähr 500 Jahren. Sexualität ist eine in sich wertvolle Begabung des Menschen, die keine Rechtfertigung aus evolutionären Zwecken benötigt. Es ist pervers, Menschen das fröhliche Ausleben ihrer Sexualität mit zustimmenden erwachsenen Partnern schlechtzureden, auch wenn diese Partner sich aufgrund einer Laune der Natur als fortpflanzungsunfähige Kombination zusammenfinden.

5. Und darin liegt ja der Skandal der Diskriminierung von Homosexuellen. Wir können nicht daran vorbeisehen, daß wir auf eine elende Tradition der Diskriminierung von Homosexuellen zurückblicken müssen. Bis aufs Blut haben wir Homosexcuelle verfolgt, erniedrigt, gedemütigt und ihnen voller Verachtung unmöglich gemacht, im Rahmen ihrer Orientierung ein "normales Leben" zu führen. Für Eheleute ist ihre lebenslange Intimpartnerschaft oft der Kern ihrer ganzen Existenz und der entscheidende Sinn ihres Daseins, auch über die eigenen Kinder hinaus. Es ist abartig, homosexuellen Menschen den Zugang zu einer vergleichbaren Lebensintensität bürokratisch abzuschneiden. Es ist vuielmehr höchste Zeit, daß durch staatliche Instituionen auch für Homosexuelle ein vollgültiger humaner Lebensentwurf möglich wird, in dem auch für den Schwulen oder die Lesbe die verbindliche Intimpartnerschaft der eigenen Existenz Freude, Tiefe und Würde schenkt.

Und nun denke ich an Herrn Geiss, wie er mit den Armen rudert und ächzt: "Ich verstehe es einfach nicht, wozu man eine Schwulenehe überhaupt braucht..."

Mit freundlichen Grüßen
Udo Teichmann