Datum: 30.07.2000 10:41:54 Autor: Udo Teichmann ©
Handlungsbedarf


ree und Kosovo
ree

---Zitat---
Ich erinnnere nochmal an den Eingangsbeitrag von Udo Teichmann im damaligen Thread zum 10 Jahre Kosovokrieg oder so ähnlich.
Dieser Beitrag war in meinen Augen einer der schlimmsten, die je in dieses
Forum gestellt wurden von der manipulativen Agitation her auf seriöse
Schiene getrimmt.
---tatiZ---

"10 Jahre Kosovo" -mein Gott, Sie haben aber eine sehr unklare Erinnerung. Wissen Sie wirklich schon nicht mehr, daß die ersten NATO-Luftangriffe am 24. März 1999 erfolgten. Das ist nicht 10 Jahre her, das ist fast noch Gegenwart!

Nach dieser ungenauen Zeitvorstellung über so ein einschneidendes Ereignis habe ich auch wenig Vertrauen in Ihre Bewertung meines Beitrags. Offenbar können Sie sich nicht vorstellen, daß man jedes Wort buchstäblich so meinen kann, wie ich es gesagt habe -falls Sie überhaupt noch eine Erinnerung daran haben, was ich gesagt habe. Ich jedenfalls habe mit meiner ganzen Person für diese Aussagen gestanden und stehe noch heute dazu, alles ist mit offenem Visier als Staatsbürger gesagt, und mit Name und Anschrift unmißverständlich gegenüber Bundesregierung, Bundespräsident, Generalstaatsanwaltschaft, International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia zum Ausdruck gebracht.

Wenn so etwas in Ihren Ohren als böswillige Hetze klingt, dann widerlegen Sie meine Argumente. Aber aus der Anonymität heraus mit vagen Erinnerungen und sparsamsten Kenntnissen meine Aussagen als Agitation zu verunglimpfen, gedeiht so recht wohl auch nur aus der Deckung von Anonymität heraus, Herr "ree".

In meinen Kosovo-Beiträgen geht es um Machtkontrolle und politischen Meinungsstreit in einer lebenswichtigen Frage für Menschenrechte, gegen die flächendeckende Manipulation der Meinungsfreiheit durch staatliche Stellen, also für unseren Rechtsstaat und für eine auf dem Recht -und nicht auf zufälligen Machtinteressen -beruhende internationale Konfliktlösungsstrategie. Es geht um zutiefst moralische und religiöse Fragen, ob man zur Rettung von Unschuldigen andere Unschuldige umbringen darf. Es geht um die frappante Sprachlosigkeit der politischen Klasse, das Verstummen des Parlamentes und die fast wehrlose Akzeptanz von vorgestanzten Formeln aus Brüssel.

Ich sehe keine gesinnungsethisch begründete Intervention. Das ist nur eine zusätzliche Verzierung. Die Nato hat ihre Intervention zum einen mit ihrer Glaubwürdigkeit, zum anderen mit der militärischen Entmachtung Serbiens gerechtfertigt. Erst ganz zum Schluß kam das Argument der Vermeidung einer humanitären Katastrophe. Im übrigen war voraussehbar, daß die humanitäre Lage durch eine solche Intervention noch verschärft werden würde. Ich nehme die Begründung außerordentlich ernst, man müsse die Serben hindern, "die Kosovaren abzuschlachten". Aber ich bin überzeugt, ob es sich hier in Wirklichkeit um eine Maßnahme handelt, die anderen Motiven entspringt:

Auf der Seite der politischen Führungen geht es nämlich vorrangig darum, die Nato als glaubwürdige Interventionsmacht zu etablieren: Die Nato als ordnungspolitisch dominanter Faktor in Europa -jenseits von Europäischer Union und OSZE. Warum sonst hätte man Serbien ausgesucht, um eine unterdrückte Minderheit militärisch zu unterstützen? Die Türkei wäre ein sehr viel besseres und richtigeres Objekt für eine Intervention gewesen.

Was dann geschehen ist, war eine himmelschreiende Zäsur in unserem gesamten bisherigen politischen Anstandskatalog: Die Bundesrepublik hat dem Angriff der Nato auf ein Land zugestimmt, das die Nato nicht angegriffen hat. Sie hat den Verzicht auf ein UN-Mandat akzeptiert, ein klarer Bruch des bisher geltenden Völkerrechtes. Die Reklamation des internationalen Regelungsanspruches durch die Nato, das ist der Rubikon, der im Kosovo überschritten worden ist und der in der neuen Washingtoner NATO-Strategie festgeschrieben wurde. Und staatt einer demokratischen Diskussion über eine so grevierende Änderung des NATO-Auftrags gab es den Kosovo-Krieg, in dessen Schatten die neue Strategie vermummt in einen Festakt fast unbemerkt beschlossen wurde. In der bewußten Abkehr von den Verhaltensprinzipien, die bisher die Legitimität des westlichen Handelns bestimmt haben, liegt der entscheidende Traditionsbruch -nicht so sehr in der Tatsache, daß sich deutsche Soldaten an Kampfeinsätzen beteiligt haben.

Gegen solch eine sprachlose Politik von Gewalt und einer skandalöse Strategie der vollendeten Tatsachen ist eine deutliche Sprache nicht nur zulässig, sondern geboten.

Man kann natürlich auch anderer Meinung sein. Wenn man es sich mit seiner Meinung aber so einfach macht, daß man noch nicht einmal die grundlegenden Tatsachen der hierbei in Frage stehenden Probleme gegenwärtig hat, wird man seiner staatsbürgerlichen Verantwortung nicht gerecht und sollte mit seinem Urteil über Andersdenkende ein wenig behutsamer umgehen.

Udo Teichmann