Unehrenhaft...


10.11.2000

Aus dem Forum des Gesundheitsministeriums ( http://www.dialog-gesundheit.de/cgi-bin/ubbcgi/forumdisplay.cgi?action=topics&forum=Gesundheit+im+Dialog&number=1&DaysPrune=10&LastLogin= ) mit Genehmigung des Autors


Thema: Unehrenhaftes Interview der Ministerin
Autor : Dr. Matthias Solga

erstellt am: 10. November 2000 01:33
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Wie kommt eigentlich die Ministerin dazu, am Budget festzuhalten? Wieso habe ich als Urologe als Einziger zu zahlen dafür, daß ich meinen fachlichen Rat in die Behandlung einbringe? Die Pharmariesen, die Großhändler und die Apotheken kassieren, und die einzigen, die nicht am Medikamentenmarkt verdienen, sollen zahlen? Frau Fischer, das ist nicht nur unehrenhaft, sondern unverschämt. Die ambulanten Ärzte sind die Einzigen, die für immer mehr Arbeit (z.B. Herauslösung stationärer Leistungen in den ambulanten Bereich für immer weniger Anteil an den Einnahmen der Kassen) immer weniger verdienen. Das Krankenhaus bekommt feste Preise, übrigens auch für leere Betten, die Apotheke bekommt für dasselbe Medikament denselben Preis, egal, wieviel sie verkauft hat oder von welcher Kasse der Kunde kommt. Der Arzt ist der Einzige, der in einer einzigartigen Währung bezahlt wird – in äPunkten“, und diese erst nach 9 Monaten in frei floatenden Werten umgerechnet und bezahlt bekommt. So ist der ambulante Arzt die Rückversicherung der überbordenden Kassenbürokratie und der Selbstbedienungsnomenklatura in der Politik. Nun wird er auch noch dadurch verhöhnt, daß ihm für Etwas, wovon er überhaupt nichts hat, seine Existenz gefährdet wird.

Wenn Sie behaupten, die Budgets könnten bei gutem Management ausreichen, so sagen Sie die Unwahrheit. In Berlin z.B. leben weitaus mehr AIDS-Kranke, als dies der Berliner Bevölkerungsstruktur entspricht. AIDS-Kranke benötigen sehr viel mehr Geld als Andere. So gibt es viele Beispiele, z.B. die desolate Gesundheitsstruktur der hohen Anzahl von Spätaussiedlern usw. Warum gehen Sie über diese Tatsachen hinweg? In Berlin z.B. wurde in Jahren ohne Budget bereits sehr sparsam verordnet, darauf setzte dann das Budget auf, das gekürzt wurde. Da vorher bereits sehr verantwortlich verordnet worden ist, waren weniger Einsparmöglichkeiten vorhanden. Die Ärzte werden also für ihre vernünftige Verordnungsweise nun auch noch bestraft. Frau Fischer, das ist nicht nur unehrenhaft, das ist eine Frechheit.

Frau Fischer, wenn Sie als offensichtlicher Vertreter der gesetzlichen Krankenversicherungen davon ausgehen, daß ein Medikament nicht bezahlt werden kann, so stehen Sie dafür ein und seien Sie nicht so feige, aber auch jede Verantwortung in die Arztzimmer zu tragen. Sie bringen es jedoch seit Jahren als Politiker nicht zustande, eine Positivliste zu erstellen. Da knicken Sie ein gegenüber der Pharmalobby und treten in Radfahrermanier die Kleineren, nämlich unter Anderem mich.

Frau Fischer, Sie behaupten, die Leute seien in Deutschland nicht gesünder als Anderwso. Das ist falsch. Wenn ich einen Fehler mache, werde ich bestraft, wenn Sie -wissentlich, denn die Zahlen haben Sie wie jeder Andere- die Unwahrheit verbreiten, werden Sie noch hochbezahlt. Die Lebenserwartung als ein wichtiger Parameter der Gesundheit ist in Deutschland weltweit an einer der besten Positionen, mit deutlichen Unterschieden immer noch zwischen Ost und West. Wieso sagen Sie die Unwahrheit?

Frau Fischer, niemand fordert immer mehr. Das Problem ist, daß im ambulanten Bereich immer weniger ankommt von den Einnahmen der Versicherungsgesellschaften. In Europa liegen wir mit der Arztdichte ohnehin nur im Mittelfeld. Wir müssen aufhören, dem ambulanten Gesundheitswesen, der Stütze der Gesundheitsfürsorge, immer mehr Geld wegzunehmen und dann auch noch die Leistungserbringer zu beschimpfen.

Frau Fischer, nochmal: die Ärzte fordern nicht mehr, schon gar nicht von Ihnen (noch so eine Unverschämtheit), sondern sie fordern, dem immer weiteren Aderlaß endlich Einhalt zu gebieten. Das Geld kann und soll nicht nur von den Versicherten kommen: stoppen Sie den Wildwuchs bei den Eigenausgaben der Kassen: immer weniger Geld der Einnahmen fließt in die Krankenhausbehandlung und in den ambulanten Sektor (ambulant 1970 20%, 1989 14% der Einnahmen). Sind Ihnen diese Zahlen etwa nicht bekannt, Frau Ministerin? Haben Sie, wenn Sie schon keine Fachkenntnis haben, denn auch noch unfähige Berater?

Frau Fischer, ständig mit den dubiös erhobenen Zahlen der Arzteinkommen herumzuwedeln, beleidigt mich persönlich. Ich arbeite hart (13,2 Stunden pro Arbeitstag, wenn die Wochenenden als frei herausgerechnet werden) in einer urologischen leistungsfähigen mit 1400 Scheinen (2 Ärzte) gut besuchten Gemeinschaftspraxis, die ein großes Spektrum incl. Ambulante Operationen in eigenem, qualitativ hochwertig ausgestattetem OP-Trakt anbietet. Mir bleiben vor Steuern DM 52.000,- übrig, wovon noch die Tilgungen abgezogen werden müssen, das ist vor Tilgungsabzug ein Bruttogehalt von DM 17,90 pro Stunde. Die Verhältnisse sehen bei den Berliner Urologen und Chirurgen nicht anders aus, das sind keine Einzelnen. Insgesamt sinkt die Gesamtvergütung in Berlin von Jahr zu Jahr, das betrifft auch nicht, wie Sie das herunterspielen wollen, einzelne Arztgruppen, das betrifft alle Ärzte. Diese Absenkung der Gesamtvergütung ist Ergebnis einer Politik, die es den Krankenkassen erst in großem Umfang ermöglicht hat, die Ärzte z.B. durch Pseudozusammenlegungen und Wechsel der Firmensitze und andere Tricksereien um ihr Einkommen zu betrügen. Ein leitender Mitarbeiter einer Krankenkasse erhält 12 mal so viel Gehalt pro Stunde wie ich, und wir haben in unserer Praxissoftware 2000 Krankenkassenbetriebe verzeichnet!

Frau Minister, entweder Ihre Zahlen sind falsch und Sie haben sie zu korrigieren oder ich werde mit meinem Einkommen um mein Leben betrogen und fordere wenigstens die Hälfte des sog. Durchschnittseinkommens, das wären für mich 50% mehr. Ich verlange nicht, daß die Versicherten das ausgleichen, im System sind auf Seiten der Versicherungen ausreichend Reserven. Unehrenhaft ist es, mir wie allen anderen Ärzten die Risiken des Systems aufzuhalsen und sich selbst in unendlicher Heiterkeit über die Fakten hinweg von Unwahrheit zu Unwahrheit zu schwingen.


 


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