Urteile des Bundessozialgerichts


10.11.1999

Mit Genehmigung der Pressestelle des Bundessozialgerichts gebe ich hier Pressemeldungen des Gerichts wieder.



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Bundessozialgericht

Presseinformation

 

Kassel, den 6. Oktober 1999

Presse-Mitteilung Nr. 70/99 (zum Presse-Vorbericht Nr. 70/99)


Der 1. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 6. Oktober 1999:


1) Die Revision der Beklagten hatte Erfolg. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Ersetzung seiner intakten Amalgamfüllungen durch Glasionomerzement auf Kosten der Beklagten.

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens gibt es keine ausreichenden wissenschaftlichen Belege dafür, daß das aus Amalgamfüllungen unbestritten freigesetzte Quecksilber geeignet ist, im konkreten Fall gesundheitliche Beeinträchtigungen herbeizuführen. Durch Amalgamfüllungen wird zwar die anderweitige Aufnahme dieses Stoffs insbesondere über die Ernährung erhöht. Bei der Bewertung der möglichen gesundheitlichen Folgen muß aber nach Form und Umfang der Aufnahme durch den Körper differenziert werden. Die gegensätzlichen Standpunkte der sich hiermit beschäftigenden Wissenschaftler erlauben es weder, einen Zusammenhang zwischen den Amalgamfüllungen und den Krankheitsbeschwerden des Klägers auszuschließen noch einen derartigen Zusammenhang auf Grund von Beobachtungen in einer statistisch relevanten Zahl von Fällen zu belegen. Daß Amalgam Beschwerden von der Art verursachen könnte, wie sie vom Kläger berichtet werden, ist danach nicht mehr als eine ungesicherte Annahme. Die bloß auf allgemeine Erwägungen gestützte hypothetische Möglichkeit eines Heilerfolgs kann jedoch die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich nicht begründen. Im übrigen ist die Entfernung von Amalgamfüllungen nur unter Freisetzung eines Teils des darin enthaltenen Quecksilbers und nur unter Verletzung bisher gesunder Zahnsubstanz technisch möglich.

SG Oldenburg - S 6 Kr 60099/94 -
LSG Niedersachsen - L 4 Kr 156/95 - - B 1 KR 13/97 R -


2) Die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg. Sie war nur insoweit zulässig, als sie die Erhöhung des Kassenanteils auf über 60% betraf; auf die davon rechtlich zu trennende Frage, welche Materialkosten der Berechnung zugrunde zu legen sind, ist die Revisionsbegründung nicht eingegangen.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf einen höheren Kassenanteil als 60% des berücksichtigungsfähigen Aufwands. Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, wonach es nicht darauf ankommt, ob zahnmedizinische oder allgemein-medizinische Krankheiten den Behandlungsbedarf verursachen. Der Versicherte bleibt grundsätzlich auch dann mit einem Eigenanteil belastet, wenn zahnmedizinische mit anderweitigen Maßnahmen kombiniert werden müssen, um eine Krankheit wirksam behandeln zu können. Wie das Bundesverfassungsgericht zwischenzeitlich entschieden hat, ist allerdings eine Ausnahme geboten, wenn der Zahnarzt durch zwingende Vorschriften des Krankenversicherungsrechts zur Verwendung eines bestimmten Materials veranlaßt wurde und die dadurch verursachte Gesundheitsbeeinträchtigung einen erneuten Behandlungsbedarf mit Eigenbeteiligung ausgelöst hat. Diese Voraussetzungen für eine Befreiung vom Eigenanteil liegen bei der Klägerin jedoch nicht vor. Abgesehen davon, daß sich in ihrem Fall ein Zusammenhang zwischen dem verwendeten Amalgam und den die jetzige Behandlung auslösenden Krankheitsbeschwerden nicht konkret genug belegen läßt, waren die Vertragszahnärzte der gesetzlichen Krankenversicherung auch früher nicht gezwungen, ausschließlich Amalgam als Füllstoff zu verwenden. Eine Haftung der Krankenkasse für die Belastung mit einem Eigenanteil läßt sich unter diesen Umständen nicht begründen.

SG Darmstadt - S 10/Kr 183/94 -
Hessisches LSG - L 14 KR 608/96 - - B 1 KR 10/99 R -


3) Auch hier hatte die Revision der Klägerin keinen Erfolg. Über die der Berechnung zugrunde zu legenden Materialkosten hatten sich die Beteiligten bereits in der Vorinstanz verglichen. Im übrigen entspricht die Begründung derjenigen unter Nr 2). Als Metallegierung für den ursprünglichen Zahnersatz der Klägerin konnten die Vertragszahnärzte nach den einschlägigen Richtlinien zwischen mehreren Materialien wählen. Es gab keinen Zwang, das später als unverträglich entfernte Kupfer-Palladium zu verwenden.

SG Itzehoe - S 9 Kr 44/94 -
Schleswig-Holsteinisches LSG - L 1 Kr 53/95 - - B 1 KR 9/99 R -


4)+5) Die Klägerinnen hatten auch im Revisionsverfahren keinen Erfolg, denn die Vorinstanzen haben den Anspruch auf die Übernahme weiterer Kosten für die eingesetzten Gold-Gußfüllungen zu Recht abgelehnt. Dabei konnte auf sich beruhen, ob Gußfüllungen dem Zahnersatz oder ob alle Zahnfüllungen unabhängig von Material und Herstellungsvorgang der konservierenden zahnärztlichen Behandlung zuzuordnen sind, wofür die seit November 1996 geltende Gesetzesfassung sprechen könnte. Jedenfalls kann die Ersetzung intakter Amalgamfüllungen dann nicht als "notwendig" im krankenversicherungsrechtlichen Sinn angesehen werden, wenn nicht mehr als die bloße Möglichkeit festgestellt werden kann, dadurch den Gesundheitszustand günstig zu beeinflussen. Da bei den Klägerinnen eine Amalgamallergie nicht zur Debatte steht, waren die Revisionen aus denselben Gründen wie unter Nr 1) zurückzuweisen.

SG Lüneburg - S 9 Kr 96/93 -
LSG Niedersachsen - L 4 Kr 73/96 - - B 1 KR 14/98 R -

SG Osnabrück - S 3 Kr 107/95 -
LSG Niedersachsen - L 4 Kr 130/96 - - B 1 KR 13/98 R -


6) Das angefochtene Urteil mußte aufgehoben werden, weil es, wie die Klägerin zu Recht gerügt hat, unter Verstoß gegen den Grundsatz der mündlichen Verhandlung und unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zustande gekommen ist.

Das LSG hätte nicht ohne mündliche Verhandlung entscheiden dürfen, ohne hierzu (erneut) die Zustimmung der Beteiligten einzuholen. Die früher erteilte Einverständniserklärung war verbraucht, weil sich die Prozeßlage wesentlich geändert hatte. Während ursprünglich darüber gestritten worden war, ob die Beschäftigung des Beigeladenen zu 1) als mißglückter Arbeitsversuch im Sinne der früheren Rechtsprechung des BSG zu bewerten und aus diesem Grund eine Leistungspflicht der Beklagten zu verneinen sei, hat das LSG in seinem ohne mündliche Verhandlung gefaßten Urteil entsprechend der inzwischen geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß die Rechtsfigur des mißglückten Arbeitsversuchs unter der Geltung des SGB V keine Anwendung mehr finde. Es hat statt dessen angenommen, daß der Verdacht auf Manipulationen zum Nachteil der Krankenkasse bestehe und dies den geltend gemachten Anspruch ausschließe.

Durch das Vorgehen des Berufungsgerichts ist zugleich der Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt worden. Das gilt insbesondere auch deshalb, weil die Beteiligten auf die Änderung des rechtlichen Gesichtspunkts vorher nicht hingewiesen und demzufolge durch die Entscheidung überrascht worden sind.

Der Rechtsstreit wurde zur Nachholung des rechtlichen Gehörs an die Tatsacheninstanz zurückverwiesen.

SG Bremen - S 7 Kr 79/91 -
LSG Bremen - L 2 Kr 14/94 - - B 1 KR 17/99 R -



Die Urteile, die ohne mündliche Verhandlung ergehen, werden nicht in der Sitzung verkündet. Sofern die Ergebnisse von allgemeinem Interesse sind, erscheint ein Nachtrag zur Presse-Mitteilung nach Zustellung der Urteile an die Beteiligten.





 


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Aribert Deckers