24.09.2004
Ich danke Herrn Prof. Bock und Herrn Prof. Anlauf für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe ihres Artikels.
Die originale URL des Textes ist http://www.konsequente-positivliste.de/anthropool.html
Aribert Deckers
Die "Weltschau" der Anthroposophie RUDOLF STEINER´s kann als eine esoterisch-okkultistische Geheimwissenschaft mit Elementen aus der Kosmologie, der Astrologie, der Alchemie, der Homöopathie, fernöstlichen Lehren u. a. zusammengefasst werden Das Karma, die vier Wesensglieder ("Leiber") des Menschen, eine vermeintliche Dreigliederung des Menschen und der Gestalt der Pflanzen, daraus konstruierte physiologische, pathologische und therapeutische Zusammenhänge, postulierte Beziehungen zwischen Gestirnen, irdischen Metallen und Körperorganen, aus denen absurde Therapieverfahren abgeleitet werden, und vieles andere wurde von STEINER ohne jegliche empirische Basis zu einer mystischen Gesamtschau der Welt und des Menschen vereinigt.
KANT bezeichnete solche Grundanschauungen von der Geistigkeit der Welt als "Metaphysik der faulen Vernunft", womit ein Totalwissen gemeint ist, das unter Missachtung der Grenzen der Erkenntnis das Ganze schon zu kennen meint, bevor auch nur ein Einzelproblem erforscht worden ist (ULLRICH 1988).
Es handelt sich weder um Natur- noch um Geisteswissenschaft im üblichen Sinne, sondern um eine dogmatische, mystische Gesamtsicht der Welt, an die man glauben kann oder nicht. Man fragt sich, ob die meisten und oft einflussreichen Anhänger der Anthroposophie diese Hintergründe kennen, insbesondere die doch sonst so rational agierenden Wirtschaftsführer und Wissenschaftler, die sie fördern durch reichliche Spenden, ihre Anwesenheit in den Gremien der Privaten Universität Witten/Herdecke oder auch nur durch Ergänzung ihres Unterrichtsangebotes.
Man könnte die Anthroposophie als harmlose esoterische Sekte betrachten, die in einer liberalen Gesellschaft ohne weiteres ihren Platz haben kann. Viele Beispiele zeigen aber (siehe u.a. PETER TREUE in der FAZ vom 13.3.2002), dass die Anthroposophische Gesellschaft mit ihrer wenig durchsichtigen Struktur erheblichen politischen Einfluss ausübt. Nicht nur, dass sie Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser, Altenheime, Wirtschaftsbetriebe, Pharmaunternehmen, Banken, eine Universität etc. betreibt, sie nimmt auch Einfluss auf Regierungshandeln und Gesetzgebung.
Das Beispiel der Landwirtschaft ist eines, wobei der Biologisch-Dynamische Landbau die mystische anthroposophische Variante einer sonst ja durchaus erwünschten, aber auf rationalen Methoden basierenden ökologischen Landwirtschaft ist. Ein weit gravierenderes Beispiel ist der Einfluss auf das Gesundheitswesen, u.a. derzeit bei der Gesetzgebungsinitiative der Regierungskoalition, anthroposophische Arzneimittel in die Erstattungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen aufzunehmen:
[Hier war ursprünglich eine URL der Universität Köln. Leider ist die Seite nicht mehr auf dem Server verfügbar. A.Deckers]
Man muss in die Details gehen, um die Methoden zu erkennen und die Entwicklung zu verstehen.
Beispielhaft waren die Vorgänge bei der Novellierung des Arzneimittelgesetzes (AMG) 1976, die einer von uns (B.) als damaliges Mitglied des Vorstandes der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft aus nächster Nähe erlebte. Die Regierung hatte einen Entwurf vorgelegt, der den damals mehr noch als heute chaotischen Arzneimittelmarkt mit einer Unzahl wirkungsloser und auch nicht ungefährlicher Medikamente ordnen sowie "Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Arzneimittel"( § 1 AMG) gewährleisten sollte, und zwar geprüft nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse.
Das hätte das Ende zahlreicher unkonventioneller Therapierichtungen bedeutet. Daraufhin setzte, angeführt von den Anthroposophen, eine unglaubliche Lobbyarbeit zur Bearbeitung des Parlaments ein. Unter Missbrauch der wissenschaftstheoretischen Analysen von T.S.KUHN wurden die Begriffe "Methodenpluralismus" und "Wissenschaftspluralismus" eingeführt, womit die Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit jeglicher Medizintheorie suggeriert werden sollte. Die weltweit anerkannten Verfahren zum Wirksamkeitsnachweis wurden mit ethischen, juristischen und biostatistischen Argumenten angegriffen. Später erschien das Buch eines Juraprofessors: "Arzneimittelprüfung. Strafbare Versuchsmethoden. 'Erlaubtes' Risiko bei eingeplantem fatalen Ausgang" mit einem Arzt in Handschellen auf dem Umschlagbild. Angeblich war die Therapiefreiheit bedroht. Es gab eine massive Aktion zur persönlichen Beeinflussung der Abgeordneten - ein Ausschussmitglied erhielt z.B. an einem Tag 1500 gleichlautende Briefe. Man schreckte nicht einmal vor dem Versuch zurück, den für den Gesetzentwurf verantwortlichen Staatssekretär zu diffamieren: Der Abgeordnete UDO F. verschickte an eine Reihe von Professoren am 20.2.1975 die Photokopie einer sorgfältig anonymisierten Publikation aus dem Jahr 1970 über die Wirkung von Chloramphenicol auf die Blutbildung - mit der Frage, ob die Untersuchung ethischen Prinzipien entsprochen habe - was der Fall war, aber offensichtlich verneint werden sollte. Es kam heraus, dass einer der beiden unkenntlich gemachten Autoren eben dieser Staatssekretär war.
Dass die anthroposophischen Auffassungen über Wirksamkeitsnachweise nicht nur bei uns, sondern auch international abgelehnt wurden, zeigte sich, nachdem die Herdecker Anthroposophen R. BURKHARDT und G.KIENLE ihre Vorstellungen über kontrollierte klinische Studien 1978 in "Lancet" publiziert hatten. Daraufhin trat eine 19köpfige Gruppe von international renommierten Wissenschaftlern, darunter auch Ethiker, vom 13.-16. September 1979 zu einer Guest Conference der Ditchley Foundation zusammen. In ihrem ausführlichen Report begründeten sie die einhellige Ablehnung der methodischen und ethischen Einwände der Herdecker Autoren.
Was war das Ergebnis? Man erfand für das AMG die "Besonderen Therapierichtungen" (Anthroposophie, Homöopathie, Phytotherapie), wobei für die Zulassung ihrer Arzneimittel eigene, bis heute bestehende Kommissionen gebildet wurden, zusammengesetzt aus deren Vertretern (u.a. mit Heilpraktikern), die nach eigenen Maßstäben entscheiden. Das wurde später mit dem neuen Begriff "Binnenanerkennung" auch im Sozialgesetzbuch verankert " ein Begriff, der nichts anderes besagt, als dass jedwede Therapierichtung für sich beschliessen kann, was wirksam ist.
Nicht genug damit: Da nach dem Gesetzentwurf die Zulassung zu versagen war, wenn die therapeutische Wirksamkeit fehlt, wurde in letzter Minute noch der Satz eingefügt: "Die therapeutische Wirksamkeit fehlt, wenn feststeht, dass sich mit dem Arzneimittel keine therapeutischen Ergebnisse erzielen lassen" (§25(2)AMG). Damit wurde die Beweispflicht des Antragstellers für die Wirksamkeit umgekehrt in eine Beweispflicht der Zulassungsbehörde für die Unwirksamkeit, ein Beweis, den diese jedoch niemals erbringen kann; bei konsequenter Auslegung müsste die Behörde auch jedes Placebo zulassen, da auch Placebos, (d.h. Präparate ohne Wirksubstanz) psychologisch bedingte therapeutische Effekte haben können.
Die Zulassung nach verschiedenen, von Herstellern und Anwendern selbst gesetzten Standards hat bis heute gravierende Konsequenzen. Der Markt ist nach wie vor ungeordnet, die Nachzulassung Zehntausender seinerzeit im Handel befindlicher Medikamente hat sich immer wieder verzögert und soll nun bis 2005 beendet sein.
Zahlreiche Prozesse wurden wegen der Kostenerstattung für zweifelhafte Therapien oft bis in die höchsten Instanzen geführt, mit widersprechenden Urteilen der überforderten Richter. Man streitet seit langem über Positiv-, Negativ- und Transparenzlisten und über die Erstattungspflicht in Kommissionen der Ärzte- und Kassenverbände - all dies wäre überflüssig mit einem eindeutig auf dem heutigen Wissensstand beruhendem Gesetz und einer kompetent besetzten, ausreichend ausgestatteten Zulassungsbehörde, die das tun würde, was § 1 AMG vorschreibt, nämlich nur wirksame und unbedenkliche Arzneimittel zuzulassen, und zwar geprüft nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis. Wollte man die unkonventionellen medizinischen Verfahren am Leben erhalten, wofür es zwar keine wissenschaftlichen, wohl aber offenbar politische Gründe gibt, z.B. die grosse Zahl von Beschäftigten in diesem gut verdienenden Sektor des Gesundheitswesens, wären hierzu andere Massnahmen, vielleicht ein eigenes Gesetz, erforderlich, nicht das Hineinmogeln der "Besonderen Therapierichtungen" in das Arzneimittelgesetz mit seinen wissenschaftlich begründeten Standards. Nicht nur, dass der Schutz der Bevölkerung vor Schäden durch bindende Vorschriften zum Nachweis der Unbedenklichkeit (chronische Toxizitätsprüfung, Embryotoxizität u.a.) statt durch "Binnenanerkennung" gewährleistet sein müsste, auch der Handel mit den Arzneimitteln neu auf den Markt drängender, nicht erfasster Therapierichtungen wie der chinesischen Medizin bedarf dringend der Kontrolle: Hier gibt es hohe Risiken durch Toxizität selbst in vermeintlich harmlosen Tees, oder es gibt Beimengungen von Pharmaka wie Cortison u.a. in derartigen Mitteln.
Man muss sich von dem Gedanken freimachen, dass auf dem Gebiet der Aussenseitermedizin reine Idealisten eine naturgemässe, "sanfte" Medizin betreiben - vielmehr ist dies auch ein Tummelplatz geldgieriger Scharlatane, mit und ohne ärztliche Approbation, die die Patienten schamlos ausnehmen.
Man darf zweifeln, ob die meisten Parlamentarier seinerzeit begriffen haben, was für einem Gesetz sie zustimmten. Sie sind auf die Schlagworte Methoden- und Wissenschaftspluralismus , Therapiefreiheit u.ä hereingefallen und glaubten vermutlich, besonders liberal, oder, wie in der aktuellen Diskussion zu hören, besonders demokratisch zu sein, was immerhin auf eine willfährige Bedienung der Wählerklientel hinweist. Bewundernswert gesteuert wurde diese ja durchaus legitime Kampagne, darüber waren sich alle damaligen Beobachter einig, von den Anthroposophen. Sie zogen die anderen Besonderen Therapierichtungen mit, deren Vertreter ihnen intellektuell, vor allem aber auch hinsichtlich ihrer suggestiven Formulierungskünste nicht das Wasser reichen konnten. Trotzdem ist kaum ins öffentliche Bewusstsein gedrungen, wer hier die Fäden gezogen hat.
Ein weiteres Beispiel für das unauffällige, aber in seinem Einfluss auf die Politik sehr effiziente Wirken der Anthroposophen sind die Vorgänge 1977 um das anthroposophische Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke. An die Medizinische Fakultät des Universitätsklinikum Essen war das Ansinnen gestellt worden, dieses Krankenhaus als akademisches Lehrkrankenhaus anzuerkennen. Dem Zeitgeist - und damit auch der Meinung nicht weniger Politiker - kam entgegen, dass ausgestreut wurde, dies sei ein "hierarchiefreies" Krankenhaus und die Chefärzte und deren Liquidationsrecht gäbe es dort nicht. In Herdecke liquidierten zwar nicht die Chefärzte selbst, dafür aber kräftig die Verwaltung, und die Vergütung der Chefärzte mit Geld und Sachleistungen blieb in wohltätiges Dunkel gehüllt.
Die Essener Medizinische Fakultät lehnte die Anerkennung des Herdecker Krankenhauses als Lehrkrankenhaus ab, und zwar ausschliesslich deshalb, weil dort eine Medizin betrieben würde, die in Theorie und Praxis mit der wissenschaftlichen Medizin unvereinbar sei. Dies wurde ausführlich begründet. Daraufhin kam es am 22.11.1977 im Düsseldorfer Landtag zu einer Kleinen Anfrage der FDP-Abgeordneten EIKMANN und GERIGK-GROHT an die Regierung, in der u.a. gefragt wurde, ob die Ablehnung mit dem Arzneimittelgesetz vereinbar sei. Letzteres war überhaupt nicht einschlägig, aber hier zeigte sich erstmals, welche grundsätzliche politische Bedeutung der im neuen Arzneimittelgesetz verankerten prinzipiellen Gleichberechtigung aller therapeutischen Richtungen zugemessen wurde. Weiter fragten die beiden Abgeordneten, ob die Landesregierung unter Berücksichtigung der Ablehnung der Fakultät den geplanten Bau des operativen Zentrums in Essen noch für notwendig und fachlich geboten halte. Das operative Zentrum wurde trotzdem gebaut, Herdecke wurde nicht Lehrkrankenhaus, aber dafür eine mit erheblichen öffentlichen Mitteln geförderte Privatuniversität. Im Geschäftsjahr 1999/2000 waren es knapp 10 Millionen DM.
Von den vielen Auffälligkeiten des medizinischen Forschungs- und Lehrbetriebes in Witten/Herdecke sei hier nur der Lehrstuhl für "Theoriebildung in der Medizin- genannt, im Forschungsbericht 1998-2000 heisst er noch "Medizintheorie und Komplementärmedizin-, mit früher 11 Wissenschaftlichen Mitarbeitern (6 davon Doktoranden, zwei Naturwissenschaftler, ein Veterinär und nur eine promovierte Humanmedizinerin), jetzt sind es noch 4 Wissenschaftler. Wenn KANT (in 'Kritik der reinen Vernunft') quasi als Grundlage für die Theorie einer Wissenschaft fordert: "Denn man muss die Gegenstände schon in ziemlich hohem Grade kennen, wenn man die Regel angeben will, wie sich eine Wissenschaft von ihnen zustande bringen lasse" - muss man doch fragen, ob in diesem Personenkreis der erforderliche hohe Grad von Sachverstand über die ärztliche Wissenschaft repräsentiert ist, um deren Theorie zu erforschen. Einige "Forschungsprojekte" des Lehrstuhls im Forschungsbericht: "Kongressdarstellung im Internet", "Postgraduierten Lehrgang, "Kongressleitung", drei Anwendungsbeobachtungen biologischer Präparate" (u.a. "Rhythmische Einreibung mit Moor-Lavendelöl'), acht Zeitschriftenbeiträge, davon 3 in Ärztekammerblättern.
Der Inhaber dieses Lehrstuhls für Theoriebildung in der Medizin ist der Psychiater Prof.Dr.MATTHIESSEN, tätig in zahlreichen Beiräten und auch als Regierungsberater.
Aufgabe des Lehrstuhls sei, die Pluralität von Weltanschauungen, Paradigmen und Denkfiguren in der Medizin durchschaubar zu machen und dies in einem "interparadigmatischen Diskurs" kritisch herauszuarbeiten.
Immer wiederkehrend ist die Behauptung, dass es einen Theorien- und Methodenpluralismus derart gäbe, dass Wissenschaftliche Medizin, Homöopathie, Anthroposophische Medizin, Traditionelle Chinesische Medizin u.ä. gleichwertige Medizintheorien seien. Es wird übersehen, dass es im Falle einer Konkurrenz erfahrungswissenschaftlicher Theorien wissenschaftstheoretische Kriterien gibt, die eine Entscheidung ermöglichen, welche Theorie die bessere, die überlegene ist. Es sind dies:
Die Anwendung der genannten Kriterien zur Bewertung konkurrierender Theorien zeigt, dass sie allein von der wissenschaftlichen Medizin erfüllt werden. Deshalb hat sie sich überall in der Welt durchgesetzt. Sie und die von ihr abgeleiteten therapeutischen und präventiven Verfahren haben als erste in der Geschichte der Medizin bewirkt, dass die durchschnittliche Lebenserwartung (als härtestes Kriterium für die Effektivität einer Medizin) von 30 - 40 auf 70 - 80 Jahre angestiegen ist. Keine andere frühere und die heutige alternative Medizin war und ist hierzu in der Lage, keine hat auch ein annähernd vergleichbares effektives Praeventionskonzept.
Es genügt eben nicht, bei spontan heilenden oder auch unheilbaren Krankheiten die Befindlichkeit oder die Lebensqualität zu verbessern oder Schmerztherapie zu betreiben, so wichtig das ist. Hierfür verfügt auch die wissenschaftliche Medizin über wirksame Methoden . Aber es ist unsinnig, zur Behandlung solcher, in hohem Masse suggestiven Einflüssen unterliegenden Phänomene veraltete oder hochspekulative Medizintheorien anzuwenden. Diese Verfahren entfalten um so eindrucksvoller ihre Placeboeffekte, je geheimnisvoller, je exotischer die Theorie und ihre Praxis ist. Glaubt der Therapeut an sein Verfahren, so ist er umso erfolgreicher. Seit Jahrzehnten versuchen diese Richtungen, neben anektodischen und unkontrollierten Beobachtungen wissenschaftlich haltbare Belege für die Tauglichkeit ihrer Theorien zu erbringen, d.h. Beweise für einen substantiellen Einfluss auf den Kranheitsverlauf - stets vergeblich.
Natürlich hat auch die wissenschaftliche Medizin längst nicht alle Probleme gelöst, aber ihre Theorie hat sich bisher als äusserst fruchtbar erwiesen. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass irgendeine alternative Theorie in der Lage sein wird, eines der offenen Probleme zu lösen, schon bisher gelang ihr das nirgends. Die unkonventionellen Richtungen sind weder eine Ergänzung noch eine Erweiterung oder Komplementierung der wissenschaftlichen Medizin - sie sind unvereinbar mit ihr, weil es sich, ungeachtet ihres medizinhistorischen Interesses, um Pseudowissenschaften handelt. Sie gehören in die Asservatenkammer der Medizingeschichte (HABERMANN).
Das Beharren der Anthroposophen auf einem angeblichen Theorienpluralismus hat in Witten/Herdecke groteske Konsequenzen. Man bietet zukünftigen Ärzten nicht nur Lehrveranstaltungen in Homöopathie und Anthroposophischer Medizin an, sondern auch einen 3-jährigen Studiengang in Traditioneller Chinesischer Medizin und einen 2- jährigen in Traditioneller Chinesischer Phytotherapie. Gleichzeitig gibt es aber auch eine Lehrveranstaltung über Evidenzbasierte Medizin, die sich ja wesentlich auf kontrollierte klinische Prüfungen stützt, Verfahren also, die noch vor 30 Jahren - s.oben - von den Anthroposophen als unbrauchbar, sogar als kriminell verteufelt worden waren.
Was auch immer dort darüber gelehrt werden mag, demonstriert werden soll offenbar Weltoffenheit, Toleranz und grenzenlose Liberalität. Das beeindruckt sicher die vielen Förderer aus Wirtschaft und Politik, verwirrt aber den angehenden Arzt vielleicht auf Lebenszeit, weil er mangels jeglicher eigenen ärztlichen und wissenschaftlichen Erfahrung nicht beurteilen kann, was hier Sinn hat und was Unsinn ist. Es gibt zwar Lehrveranstaltungen, die angeblich solche Urteilsbildung ermöglichen sollen, aber es ist zu bezweifeln, dass die hierzu oben erwähnten objektiven Maßstäbe vermittelt werden.
Allein schon die Tatsache, dass die unkonventionellen medizinischen Richtungen nicht im Fach Medizingeschichte, sondern als Studiengänge bzw. Fortbildungs- veranstaltungen angeboten werden, zeigt eindeutig, dass die These vom angeblichen Theorien- und Methodenpluralismus nicht kritisch analysiert, sondern als feststehend betrachtet wird.
Selbstkritisch muss gesagt werden, dass einer an sich sehr erwünschten Diskussion über Wissenschaftstheorie in der Medizin die "Theorievergessenheit- einzelner anderer Medizinischer Fakultäten gegenübersteht. Diese glauben fortschrittlich, besonders liberal oder tolerant zu sein, wenn sie auch "Alternatives" anbieten. Im Gegensatz zum politischen und sozialen Leben gibt es in der wissenschaftlichen Diskussion jedoch keine Toleranz in dem Sinne, dass beliebige, als falsch oder widerlegt erkannte Meinungen oder Theorien weiter mitgeschleppt und gelehrt werden, sie werden als obsolet ausgesondert. Wissenschaft betreiben heisst auch zu unterscheiden ! Ob wohl jemals ein Fachbereich Chemie eine Fortbildung in Alchemie oder die Astrophysiker eine solche in Astrologie anbieten würde?
Die bisher übliche systematische Lehre in den Anfangssemestern aller Wissenschaften vermittelt nicht nur die theoretischen Grundkenntnisse in den einzelnen Teilgebieten, das Wissen und das Verständnis dafür, worum es sich bei den Problemen überhaupt handelt und welche Lösungsansätze in Betracht kommen (also die "Regeln" KANT´s), sondern sie macht auch anschaulich, was Wissenschaft eigentlich ist und wie sie funktioniert - eine Kenntnis, die den wissenschaftlich gebildeten Arzt vor dem nur praxisorientierten, heilpraktikerähnlichen Pragmatiker auszeichnet.
Problemorientierung vom ersten Semester an, wie in Witten/Herdecke angeboten, hat zwar hohen Unterhaltungswert, kann aber eine gewaltige Zeitverschwendung sein, denn die Wissensfragmente aus allen Gebieten müssen später dann wieder in eine sinnvolle Ordnung gebracht werden.
Systematisches Lernen ist zwar mühsamer, aber kein Medizinstudent, der wirkliches Interesse an den Vorgängen im gesunden und kranken Menschen hat, wird das je langweilig finden.
Wohlfühldidaktik ist ein weitgehend illusionäres Desiderat der 68er, ebenso wie die in Witten/Herdecke ständig hervorgehobene scheindemokratische Mitwirkung der Studierenden an der Auswahl der Unterrichtsgegenstände - wie wir alle aus persönlicher Erfahrung nur zu gut wissen, kann der Medizinstudent natürlich nicht beurteilen, was er an Kenntnissen später braucht.
Intelligente Studenten erlernen ihr Fachgebiet zwar selbst bei schlechter Didaktik, aber es kommt auf den Durchschnitt an, der allerdings auf Grund des Selektionsverfahrens in Witten/Herdecke nicht repräsentativ ist für die übrigen deutschen Universitäten.
Es ist keine Frage, dass an der anthroposophisch dominierten Privat-Universität Witten/Herdecke im Bereich der Medizin die Argumente vorbereitet werden, welche die Munition für die bevorstehende gesundheitspolitische Auseinandersetzung liefern. Diese wird zu einem wesentlichen Teil darin bestehen, zu definieren, was zur medizinischen Grundversorgung gehört, für die jeder Bürger obligatorisch voll versichert sein sollte. Bei Anwendung der international geltenden Grundsätze wissenschaftlicher Medizin ist eine solche Abgrenzung ohne weiteres möglich mit einer sehr kleinen Grenzzone, die von Fall zu Fall zu diskutieren ist. Die Erfahrungen bei der Verabschiedung des Arzneimittelgesetzes lassen voraussehen, was hier zu erwarten ist. Im November 2002 legte das Bundesministerium für Gesundheit und Soziales den Entwurf einer sogenannten Positivliste derjenigen Arzneimittel vor, die in Zukunft von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden sollen. Da bei den Präparaten der wissenschaftlichen Medizin streng auf die Evidenzbasis geachtet wurde, konnte auf die Aufnahme zahlreicher zugelassener Arzneimittel verzichtet werden. Dieser Regel unterlagen die Präparate der sogenannten alternativen Therapierichtungen " Anthroposophie, Homöopathie, Phytotherapie " nicht. Hier finden sich nicht nur die abstrusesten Inhaltsstoffe, die von ERDMANN (FAZ vom 30.12.02) zutreffend als Teil einer mittelalterlichen Schamanenmedizin bezeichnet wurden, geeignet uns in der Welt lächerlich zu machen. Um diesen Populismus nicht durch einen wissenschaftlichen Diskurs zu gefährden, wurden von Regierungsseite auf gesetzlicher Basis besondere Regeln für die Kommission festgelegt, die die Positivliste zu entwerfen hatte. Drei der neun Mitglieder mussten den besonderen Therapierichtungen angehören. Diese erhielten zudem eine Sperrminorität dadurch, dass sich bei wichtigen Entscheidungen sieben der neun Mitglieder einig sein mussten.. Zudem war das Glück mit den machtpolitisch Tüchtigen. Zwei der schulmedizinischen Kommissionsmitglieder sind durch Lehraufgaben in Witten/Herdecke dieser Universität besonders verbunden.
In den nächsten Tagen soll die vorliegende Liste auf dem Gesetzesweg durchgepeitscht werden. Alarmierte Ärzte haben eine Initiative (http://www.konsequente-positivliste.de/) ins Leben gerufen, um die Aufnahme von anthroposophischen, homöopathischen und phytotherapeutischen Präparaten in der Leistungspflicht der RVO-Kassen zu verhindern.
1995 scheiterte bereits eine Positivliste auf massiven Druck der pharmazeutischen Industrie trotz breiter Zustimmung u.a. des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen. Da sie ein erneutes Scheitern befürchten, haben sich jetzt leider einzelne verdienstvolle Vertreter der Pharmakritik für eine Konsenspolitik entschieden.
Sie hegen wohl die Illusion, wissenschaftliche Arzneimittel mit schwacher Wirksamkeitsevidenz aus der Regelversorgung verbannen zu können unter Inkaufnahme alternativen pharmakotherapeutischen Unsinns. Wer wie wir grundsätzlich eine Positivliste befürwortet, sollte sie jedoch nicht mit schweren Inkonsistenzen belasten.
Es ist sicher, dass alle sog. alternativen Richtungen weiter versuchen, Bestandteil der Grundversorgung (und der damit verbundenen obligaten Kostenerstattung) zu werden.
Die mächtige Lobby der Aussenseiter, gestützt auf ihre von vielen Medien unkritisch geförderte Popularität, wird Druck auf Politiker und Abgeordnete ausüben.
Begründungen werden diesmal sogar, für die Laien sehr eindrucksvoll, geliefert von einer Universität, die ja schon entsprechende Studiengänge anbietet.
Stichworte: * Pluralismus in der Wissenschaft und in den Methoden, * Gleichberechtigung der "Besonderen Therapierichtungen" (wie im Arzneimittelgesetz festgeschrieben), * Toleranz und Liberalität sowie * die ganze anthroposophische Phraseologie * "der meist nur teilaufgeklärte (vermeintlich) mündige Bürger soll" demokratisch - selbst entscheiden, wie er behandelt werden will. Das soll er auch, nur darf das nicht dort auf Kosten der Solidargemeinschaft geschehen, wo die wissenschaftlichen Grundlagen zwar behauptet werden, aber nicht gegeben sind. Und kein aufgeklärter Bürger darf gezwungen werden, Pflichtbeiträge für derartige medizinische Leistungen zu entrichten.
Anschrift der Verfasser: Prof. Dr. med. Klaus Dietrich Bock Prof. Dr. med. Manfred Anlauf Em. o. Professor f. Innere Medizin Chefarzt Medizinische Klinik III Schoenetweg 17 Zentralkrankenhaus Reinkenheide D-83708 Kreuth Postbrookstr.103 D-27574 Bremerhaven
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Aribert Deckers